Politikunterricht erleben
Austausch mit der Bundestagsabgeordneten Kordula Schulz-Asche
Was haben die SchülerInnen der IGS und die Abgeordneten des Deutschen Bundestags gemeinsam? Sie “zoomen”! Während die SchülerInnen in Vietnam schon seit neun Wochen Online-Unterricht haben, musste nun auch das deutsche Parlament neue Wege der Kommunikation finden. Aus einer Not wird eine Tugend gemacht, und dank Videokonferenz wird die Entfernung von Ho-Chi-Minh-Stadt nach Berlin zum deutschen Parlament verkleinert.
Im Rahmen des Unterrichts unter Leitung der Sozialkundelehrerin Frau Schmidt hatten die SchülerInnen der Klassen 9 und 10 die Möglichkeit ein Interview mit der Bundestagsabgeordneten und Expertin für Gesundheits- und Pflegepolitik sowie Infektionskrankheiten Frau Kordula Schulz-Asche zu führen. Nachdem die SchülerInnen in den letzten Wochen das parlamentarische System der BRD kennengelernt und sich mit der Funktionsweise des Bundestags vertraut gemacht haben, hatten sie nun konkrete Fragen zum Werdegang der Abgeordneten, zu ihrem Arbeitsalltag aber auch zur derzeitigen Weltlage mit dem Corona Virus vorbereitet.
“Politikerin sein beginnt nicht mit einem Amt, sondern damit, sich politisch zu interessieren”, sagte Frau Schulz-Asche zu Beginn des einstündigen Interviews. Sie selbst habe sich zu Schulzeiten als Schülersprecherin im geteilten Berlin für Politik im kleinen Rahmen eingesetzt. “Ich habe mich schon früh für die Interessen der Menschen, die mich umgeben, interessiert und war nicht so sehr auf mich selbst konzentriert.” Dennoch erfolgte der Schritt, in die Politik zu gehen, etwas später: Nach einer Ausbildung zur Krankenschwester, einem Studium der Kommunikationswissenschaft, einem langjährigen Auslandsaufenthalt in Afrika als Mitarbeiterin im Bereich Gesundheitsaufklärung führte ihr Weg im Jahr 2003 in die aktive Politik – zuerst als Abgeordnete in den hessischen Landtag und schließlich 2013 als Abgeordneten in den Deutschen Bundestag. “Es braucht als Politikerin eine berufliche Basis, Erfahrungen und offene Ohren für die Probleme der Menschen. Als Politikerin sollte man der Versuchung widerstehen, sich abhängig vom Mandat oder Position zu machen.” Um eine gute Politikerin zu werden, die die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt, braucht es nach Ansicht von Frau Schulz-Asche vielmehr eine gute Mischung aus eigener Meinung, die sich auf den Wünschen der Bevölkerung stützt und die wissenschaftlich fundiert ist.
Im Gespräch erfuhren die SchülerInnen auch, wie arbeitsreich Sitzungswochen im Deutschen Bundestag und Wahlkreiswochen sind und dass bis zu 12 Stunden Arbeit pro Tag anfallen können. Dabei gibt es einen wilden Mix aus Fraktionssitzungen, Bundestagsreden, Podiumsdiskussionen mit Fachleuten aus der Gesundheits- und Pflegewirtschaft oder auch einem Besuch einer Polizeidienststelle oder Pflegeeinrichtung im Wahlkreis. Außerdem erfuhren die Lernenden, dass es schwer sein kann – in Anbetracht der globalen Herausforderungen – als Politikerin einmal abzuschalten und auch welche Schattenseiten der Beruf mit sich führt. “Beleidigungen und Bedrohungen haben bedauerlicherweise zu genommen. Mit größerem Bekanntheitsgrad können die Nachteile zunehmen.” Jedoch stößt Frau Schulz-Asche meist auf offene, interessierte Menschen und sie genießt es nachwievor, anonym durch das Land reisen zu können ohne erkannt zu werden. “Ich muss nicht in der ersten Reihe mit BundesministerInnen oder Fraktionsvorsitzenden stehen. Für mich ist es wichtiger vernetzt als bekannt zu sein.”
“Das unangenehmste an der Politik ist jedoch die Redundanz.” Seit Jahren ist in Deutschland ein eklatanter Fachkräftemangel in der Pflege attestiert und auch die Zustände innerhalb des Pflegesektors, wie schlechte Bezahlung, ungenügende Work-Life-Balance, geringe Pflegekraft-Patientenbetreuung seien nicht neu, so die Gesundheitsexpertin. Doch viel zu lange ist man das drängende Thema nicht umfänglich angegangen. “Die Herausforderungen im Pflegesektor sind nun in Zeiten des Corona-Virus relevanter denn je. Manchmal ist es schwer auszuhalten, den politischen Prozessen voraus zu sein. Um so erfreulicher ist es nun, dass sich etwas tut.”
Um das Coronavirus einzudämmen, so die Bundestagsabgeordnete Schulz-Asche, müsse entschlossen aber vor allem solidarisch gehandelt werden. “Nicht nur bestimmte Bevölkerungsgruppen innerhalb Deutschlands brauchen unsere Solidarität sondern auch Länder müssen solidarisch unterstützt werden, in denen es kein so ausgebautes Infektionsschutz- und Gesundheitssystem gibt wie in Deutschland. Der weltweite Infektionsschutz kann nur so gut sein wie das schwächste Glied in der Kette.” Erfreulich sei, dass bereits finanzstarke Programme für die Wirtschaft, die Forschung und den sozial- und Gesundheitsbereich geschnürt wurden, jedoch werden, so Schulz-Asche, die Folgen der Corona-Pandemie uns noch länger beschäftigen. Eine Lehre zog die Expertin dabei jetzt schon: “zukünftig bedarf es kleinräumiger Produktionsketten vor allem bei Medikamenten, Medizinprodukten und Schutzkleidung müssen wir auf den deutschen Standort vertrauen.”
Am Endes des intensiven Gesprächs konnten die SchülerInnen noch eine ganz andere Facette bei Frau Schulz-Asche entdecken, als sie gestand: “Natürlich gibt es immer noch Momente wo ich aufgeregt bin auf einem Podium zu sprechen – besonders wenn ich die Erwartungshaltung des Publikums nicht einschätzen kann. Aber es ist nicht schlimm, aufgeregt zu sein. Eine leichte Grundnervosität ist ein guter Begleiter im politischen Alltag.” Die Reaktion der SchülerInnen folgte prompt: “Die Authentizität und die Ehrlichkeit der Abgeordneten hat mich überrascht”, stellte Yipta, Klasse 10 heraus.
Das Interview gab den SchülerInnen der IGS die Möglichkeit einen kleinen Einblick in das Leben und Arbeiten einer Bundestagsabgeordneten zu erhalten und auch Frau Schulz-Asche gefiel der Austausch, in dem sie resümierte: “Besonders in den letzten Wochen hatte ich viele Videokonferenzen, diese war nicht nur die weitentfernteste sondern auch die lebendigste.”
Auch die SchülerInnen reflektierten das Gespräch mit der Abgeordneten Schulz-Asche: “Die Ausführungen zum Arbeitspensum einer Politikerin haben mir gezeigt, wie stressig der Beruf als Politiker sein kann und mich bestärkt diesen Weg nicht einzuschlagen”, sagte David, Klasse 10.
Wiederum Simon, Klasse 9, resümierte für sich ganz persönlich: “Meine Sicht auf den Beruf als Politiker hat sich durch Interview sehr verändert, weil ich vorher nicht wusste, dass es eigentlich ziemlich ,einfach’ sein kann, Politiker zu werden. Frau Schulz-Asche hat mir geraten, wenn ich aktiv in die Politik gehen möchte, erst die Schule zu beenden, eine Ausbildung oder Studium zu machen, denn mit einem großen Erfahrungsschatz, lässt sich besser Politik für die Allgemeinheit machen. Vielleicht ist der Beruf als Politiker doch eine berufliche Perspektive für mich.”
Milan wiederum stellte heraus, dass das Arbeiten als Politiker, manchmal dem eines Wissenschaftlers ähneln würde. Wie in der Wissenschaft, würden Politiker auch lange daran arbeiten, dass ihre Themen, wie bei Frau Schulz-Asche der Pflegebereich und Infektionskrankheiten, an Bedeutung gewinnen. “Oftmals werden wichtige Themen der Gesellschaft vernachlässigt, bis sie mit voller Wucht in der Gesellschaft ankommen,” so Milan, Klasse 10. Dann würde man plötzlich zum Superstar werden. Jahrelange wären nicht genug Gelder für die Forschung an Infektionskrankheiten freigegeben wurden und jetzt, in der Coronakrise könne es nicht schnell genug gehen. Milan schlussfolgerte daraus: “Was ich von Frau Schulz-Asche gelernt habe? Die jahrelange Vorbereitung lohnt sich immer. Irgendwann werden die Themen gehört.”
Zum Schluss bat die Bundestagsabgeordnete den SchülerInnen an, auch für weitere Fragen zur Verfügung zu stehen. Das Format, so waren sich alle einig, müsse wiederholt werden.
“Politik sehe ich als einen Auftrag bestimmte Funktionsweisen der Gesellschaft zu verstehen und Vorschläge zu machen, diese zu verbessern. Das ist es, was mich antreibt.” (Kordula Schulz-Asche, Bundestagsabgeordnete)